Wohin die Kraniche ziehen (1)
Wer kennt sie nicht, die von lautem Trompeten, Rufen und Fiepsen begleiteten Kranichtrupps, wenn sie im Herbst und Frühjahr über Hessen und den Taunus ziehen? Und wie oft hat man beim herbstlichen Wegzug der Glücksvögel in die Überwinterungsgebiete gedacht: Da möchte ich jetzt gerne mitziehen und den Winter in angenehmen Gefilden verbringen. Grund genug, sich einmal anzuschauen, wo genau die Zugvögel von ihren Brutgebieten in Nordeuropa, ihrer Heimat, alljährlich hinfliegen, was sie antreibt und steuert, wo sie rasten und wo sie überwintern.
Die großen Zugvogel-Fragen nach dem „wann, wie und wohin“ sind schon lange Forschungsgegenstand, die grundlegenden Prinzipien mittlerweile bekannt, aber vieles wird noch im Detail zu untersuchen sein. Denn für ihre zeitliche und räumliche Orientierung besitzen Zugvögel ein ganzes Arsenal an angeborenen und erlernten Fähigkeiten, die ihnen helfen, die oft langen Zugstrecken sicher zu bewältigen. Heute können wir überblickshaft davon ausgehen, dass eine innere Jahresuhr („Zugunruhe“) sowie angeborene Richtungsinformationen und eine erlernte Karte im Kopf zusammen mit der Fähigkeit, Sonne, Sterne und das Erdmagnetfeld als Kompasse zu gebrauchen, sie zum rechten Zeitpunkt in ihre Zielgebiete leiten.
In Skandinavien (Norwegen, Schweden, teilweise Finnland), Mitteleuropa (Deutschland, Polen, Tschechische Republik) sowie im Baltikum (Litauen, Lettland, westliches Estland) brütende Kraniche nutzen den westeuropäischen Zugweg, der sie nach Zwischenstopps in Deutschland zu den Winterquartieren in Frankreich und Spanien führt. In Südwestfrankreich dient ihnen vor allem der Parc Naturel Régional des Landes de Gascogne, und hier insbesondere das Naturreservat Arjuzanx als Rast- oder Überwinterungsstätte. Das Gebiet um Arjuzanx haben wir uns im Februar 2023 für einige Tage etwas genauer angeschaut.
Quelle: www.kraniche.de
Die im äußersten Südwesten Frankreichs gelegene Region Les Landes de Gascogne war schon immer ein beliebtes Ziel für Kraniche, da sie ideal an dem relativ schmalen Korridor des erwähnten westeuropäischen Zugwegs liegt. Diese Route und der Überwinterungsplatz wurden etwa im Winter 2021/2022 von mindestens 476.197 Kranichen genutzt, davon 279.237 auf der Durchreise zur iberischen Halbinsel (Zahlen der European Crane Working Group, Kranich-Netzwerk Frankreich). Dabei verschwand der Kranich vor 150 Jahren nach der Trockenlegung der Sümpfe und Feuchtheiden völlig aus dem Gebiet. Erst in den 1960er Jahren kehrte er mit der Ausweitung des Maisanbaus in der Landwirtschaft wieder zurück. Seitdem hat sich eine ständig wachsende Überwinterungspopulation über das gesamte Dreieck der Landes de Gascogne (Bordeaux - Dax - Mont-de-Marsan) ausgebildet.
Heute sind Les Landes eine wichtige Kranichregion, wo an vielen Orten bis zu 20 % der westeuropäischen Kranichpopulation überwintern. Zudem bieten Les Landes geeignete Rastmöglichkeiten auf dem Zug der Tiere und spielen damit auch eine grundlegende Rolle bei der Erhaltung dieser geschützten Art. Die Kraniche, die auf dem Wegzug oder Heimzug sind, finden hier Ruhe und Nahrung, bevor sie ihre anstrengende Reise fortsetzen, wie die Überquerung der Pyrenäen beim Zug in den Süden.
Das Naturreservat Arjuzanx ist dabei eines der bedeutenden Überwinterungs- und Rastgebiete in Les Landes. Der früher durch Braunkohletagebau geprägte Landstrich wurde 1980 renaturiert und die Gruben geflutet. Heute bildet er ein 2.500 ha großes umzäuntes Naturschutzgebiet mit Seen, Wiesen und Maisäckern. Seit 1983 überwintern in den ehemaligen Gruben von Mitte Oktober bis Mitte März wieder Kraniche, die dort und in der Umgebung günstige Bedingungen vorfinden: Futterplätze (Maisfelder), die eine tägliche Nahrungsaufnahme ermöglichen, sowie offene Feuchtgebiete, die in den flachen Bereichen Schlafplätze und ausreichende Landezonen bieten.
Darüber hinaus werden im Naturreservat von Arjuzanx wissenschaftliche Studien und ein intensives Kranich-Monitoring betrieben, um die Phänologie der Überwinterung besser zu verstehen und insgesamt unser Wissen über diese besonderen Vögel zu vertiefen.
Der Naturliebhaber findet in Arjuzanx ein Informationszentrum mit Tourangeboten sowie eine Reihe von Beobachtungsplattformen, die nahe der Schlafplätze nur mit Reservierung und Führer zugänglich sind. Von den Plattformen lassen sich die spektakulären morgendlichen Abflüge und abendlichen Einflüge zu und von den Futterplätzen gut beobachten.
Ein besorgter Ausblick: Mais, der nach der Ernte auf den Feldern verfügbar ist, stellt in den Landes de Gascogne die bevorzugte Nahrung der Kraniche dar. Die tägliche Futterration eines Kranichs auf dem Zug wird auf 300g Mais geschätzt. In den letzten zehn Jahren veränderten sich allerdings die Anbaumethoden und die Leistung der Landmaschinen steigt beständig. Die Maissstoppeln werden etwa im Spätsommer untergepflügt und eine krautige Wintersaat soll zur Verbesserung der Böden beitragen. Außerdem entwickelt sich die Landwirtschaft hin zum Gemüseanbau. So gehen die Futterplätze auf den abgeernteten Maisfeldern verloren. Das führt zur Frage, welche Nahrungsressourcen den Kranichen hier und anderswo künftig noch zur Verfügung stehen und ob man sich langfristig Sorgen um die Überwinterungsmöglichkeiten der Vögel in diesem Gebiet machen muss.
Während unseres Aufenthalts hatten auch die Nächte einiges zu bieten. Nachdem das Geschrei der Kraniche langsam verstummte und sich die Dunkelheit über die Landschaft legte, kamen im Westen die hellen Planeten Jupiter und Venus zum Vorschein. Sie sollten uns noch eine ganze Weile in verschiedenen Konstellationen begleiten. Und ein Besucher vom Rand unseres Sonnensystems zeigte sich nun fast die ganze Nacht über am Himmel der Nordhalbkugel: Der langperiodische Komet C/2022 E3 (ZTF) mit einer Umlaufzeit von etwa 50.000 Jahren. Zwar hatte er bereits Mitte Januar seine sonnennächste Position wieder verlassen, erreichte aber Anfang Februar seine kleinste Entfernung zur Erde, um anschließend in den Tiefen des Alls zu verschwinden. Aus unserer irdischen Perspektive passierte er auf seiner errechneten Himmelsbahn eine Reihe spannender Objekte, die schöne Weitwinkel-Himmelsaufnahmen versprachen und mit einem mobilen Aufbau auch z.T. realisiert werden konnten. Anfangs störte noch der helle Vollmond (5.2.), sodass nur kurze Zeitfenster zum Fotografieren verblieben.
Die Abbildung oben zeigt mit gut 2 Stunden Belichtungszeit den Kometen C/2022 E3 (ZTF) im Sternbild Fuhrmann nahe des Sterns Al Kab, aufgenommen am 8.2.2023. Sein dünner Ionenschweif reichte bis jenseits des roten Emissionsnebels IC405. Auch mit dem Fernstecher war die enge Begegnung ein optischer Genuss. Es war eine glasklare Nacht mit -3°C und einem sehr guten Seeing, die von der gefühlten Qualität her an Namibias außergewöhnliche Winternächte heranreichte. „Ich kann mich nicht erinnern, jemals so deutliche Strukturen in M42 (Großer Orion-Nebel) durch den Fernstecher gesehen zu haben“ wurde im Tagebuch notiert.
Die vollständige Bildergalerie findet sich hier.
Quellen
La Grue cendrée dans les Landes de Gascogne. Migration et hivernage Saison 2021-2022 - www.grueslandesdegascogne.com
Franz Bairlein, Das große Buch vom Vogelzug. Eine umfassende Gesamtdarstellung; Aula Verlag 2022
Kranichschutz Deutschland gGmbH - www.kraniche.de
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