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  • Thomas Grohmann

Dehesas der Extremadura

Aktualisiert: 19. Dez. 2023

Wohin die Kraniche ziehen (4)




Vorab: Ein Dehesa-Special mit vielen Aufnahmen aus der Extremadura gibt es hier.



Nach dem Rastaufenthalt in Gallocanta setzt der Hauptstrom der Kraniche seine Reise südlich des Iberischen Scheidegebirges (Sistema Central) fort, wobei die große Mehrheit nach Südwesten und Süden der Iberischen Halbinsel zieht. Nachdem sie Zentralspanien überquert haben, breitet sich ein Teil in den Landschaften von La Mancha aus, bis hin zum Fuente de Piedra in Málaga, während andere Tiere sich in der Provinz Toledo niederlassen oder nach Ávila, Salamanca, Valladolid und Zamora weiterziehen. Der größte Teil wird aber in die Extremadura weiterfliegen, einige über den Valdecañas-Stausee, um sich in der Provinz Cáceres auszubreiten, andere über das Cíjara-Tal, wo sie den zentralen Bereich der Extremadura (oberes Guadiana-Tal) ansteuern. Wiederum ein kleiner Teil davon wird dort nur rasten, um anschließend in die lokalen Zielgebiete weiter zu reisen: nach Portugal, das nördliche Córdoba, die Gegend um Sevilla, Doñana und La Janda, von wo aus einige Hundert die Straße von Gibraltar überqueren, um den Winter in Marokko zu verbringen. Die nachstehende Karte zeigt die Verteilung der Überwinterungspopulation in Spanien auf die einzelnen autonomen Gemeinschaften im Januar 2023:



Was macht die Extremadura nun zum Wintereldorado der europäischen Kranichpopulation? Es sind die Vielfalt der Landschaft, das reichhaltige Nahrungsangebot in den Gebieten, in denen die Dehesa-Landschaft mit Getreide- und Bewässerungskulturen kombiniert ist, sowie die großen Wasserflächen und die gemäßigten Temperaturen des extremadurischen Winters - zwischen 5 und 20 Grad - die diesen Vögeln einen optimalen Lebensraum für die Überwinterung bieten. In den letzten Jahren hat die Zahl der hier überwinternden Tiere tendenziell sogar zugenommen. Schätzungsweise stehen in den Monaten Oktober/November bis Mitte Februar in der Extremadura etwa 60 % der Kranichpopulation der Iberischen Halbinsel. Gegenwärtig gibt es in der Extremadura 48 stabile Kranichüberwinterungs-Kerngebiete, die etwa 1.835.000 ha Land einnehmen - 44 % der Region. Die durchschnittliche Kranichpopulation in jedem Kerngebiet wird auf 1.600 bis 3.800 Kraniche geschätzt.



Der Kranich nutzt in der Extremadura eine Vielzahl von Lebensräumen, um seinen Bedarf an Futter und Schlaf zu decken. Gefressen wird hauptsächlich in der Dehesa-Landschaft, vorzugsweise mit wenig Gestrüpp und mittlerer Baumdichte, da er hier energiereichen und wertvollen Nährstoff vorfindet (Eicheln, Zwiebeln, Knollen, Stauden und Insekten). Darüber hinaus bieten die Dehesas den Kranichen ein Umfeld mit guter Sicht und leichter Fluchtmöglichkeit bei Gefahr. Wenn die Dehesas mit Getreide angebaut werden, sind Kraniche dort häufiger anzutreffen, da die Eicheln dann vom Vieh nicht genutzt werden. Zunehmend ändert sich aber aktuell das Muster wegen der zunehmenden Ausbreitung des Menschen und des großflächigen Anbaus von Feldfrüchten (insbes. Mais) etwas. So sieht man heute häufig große Schwärme auf Mais- und Reis-Stoppelfeldern mit ihrem reichhaltigen Körnerangebot äsen. Nur im Winter, wenn die Eicheln leicht verfügbar sind, halten sich die Vögel dann aber doch noch in den Dehesas auf. Geschlafen wird in seichten Feuchtgebieten, wie etwa den unzugänglicheren Randbereichen künstlicher Stauseen. Deren meist breite Ufer bieten gute Sichtverhältnisse und sie sind in der Regel ruhige Orte fernab menschlicher Anwesenheit. Man trifft die Kraniche aber auch in der Nähe von natürlichen oder künstlichen Teichen, an Flussufern und sogar in den dünnen Wasserflächen von Reisfeldern, nachdem diese abgeerntet und gepflügt wurden. Die Schlafplätze werden regelmäßig laut rufend bei Sonnenaufgang in größeren Verbänden verlassen und bei Sonnenuntergang wieder angeflogen.





Kraniche sind bekannt dafür, dass sie ihren Brutgebieten treu bleiben und territorial sind, und sie zeigen dieses Verhalten auch in ihren Überwinterungsgebieten. Anhand beringter Vögel konnte man dokumentieren, dass sie jeden Winter in dieselben Gebiete zurückkehren, und nicht nur das, sie bleiben kleinen Parzellen treu, sogar einer einzelnen Steineiche oder auch einer Baumgruppe. Es wurde sogar beobachtet, dass sie an ihrem regelmäßigen Schlafplatz jede Nacht an der gleichen Stelle rasten, so dass sie auch in den Ruhezonen territorial bleiben, insbesondere wenn es sich um erfahrene und dominante Vögel handelt. Das im ersten Winter von den Jungvögeln bei den Eltern erworbene Wissen über die Vorhersehbarkeit von Nahrung führt dazu, dass sie in das Gebiet ihres ersten Winters zurückkehren, obwohl sie in den ersten Jahren, bis sie eine Paarbeziehung eingehen, mit anderen unreifen Vögeln nomadisch sein können. Sobald sie sich verpaart und selbst Nachwuchs haben, zeigen sie eine größere Treue zu diesen Orten und besetzen Gebiete in der Nähe des elterlichen Habitats oder nehmen es sogar ein, wenn es frei ist.



Was hat es nun mit den schon mehrfach erwähnten Dehesas auf sich? Etwa 25 % der Extremadura sind Weideflächen mit ausgedehnten Stein- und Korkeichenbeständen, die als historisches Musterbeispiel naturnaher Kulturlandschaft gelten. In diesen "Dehesas" genannten Baum-Savannen stehen die Bäume oft weit auseinander und es gibt bei Bewirtschaftung wenig Unterwuchs. Dadurch haben sie einen fast parkähnlichen Charakter. Bis zum heutigen Tag erfolgt die Nutzung der Dehesas als Weidefläche für das iberische Schwein und andere Weidetiere (Rinder, Schafe, Ziegen). Darüber hinaus bieten die Dehesas nicht nur beste Überwinterungsbedingungen für Kraniche, sondern auch optimale Brut- und Lebensbedingungen für Mönchsgeier, spanische Kaiseradler, Groß- und Zwergtrappen sowie für viele andere Vogelarten, die früher auch bei uns heimisch waren. Korbblütler und Schopflavendel färben in den Frühlingsmonaten die Weiden weiß, blau, violett und gelb und verbreiten einen würzigen Duft.





Soweit die fast lexikanische Beschreibung. Wenn man sich im Frühling in den Dehesas aufhält, wähnt man sich schlicht…im Paradies: Alte, majestätische Eichen prangen auf einem wogenden grünen Teppich aus Weideland. Knorrige Eichenstämme biegen sich hinter uralten Steinmauern, gespickt mit Fingerhut und Affodill. Kleine Lämmer tummeln sich an endlos mäandernden Bächen, ihre Mütter stehen knietief in den Wildblumen. In den Tümpeln stecken glückliche schwarze Schweine bis zum Bauch im Schlamm. Über der sanften Brise hört man Kuckucke, Wiedehopfe und Theklalerchen aus verschiedenen Richtungen singen. Ein Geschwader von Gänsegeiern gleitet vorbei, direkt gefolgt von einem (oder zwei) Zwergadlern. Ein Storch gleitet hinunter zu seinem Nest auf einer alten Kirche, wo er von seinem Partner und dem Rest der Storchengemeinschaft, die aus einem Dutzend oder mehr besteht, begrüßt wird. Dies ist keine schwulstige Übertreibung, sondern ein reales Bild der Dehesa-Landschaft.

 





Es sind also die sanften, baumbestandenen Hügel und Ebenen der Extremadura, die man als Dehesas bezeichnet. Allerdings ist die Dehesa-Landschaft schwer zu definieren. Es gibt keine wirklich passenden Vergleiche mit anderen bekannten Landschaftsstrukturen, die die Essenz der Dehesa umfänglich einfangen. Manchmal werden sie als mediterrane Wälder, Hutewälder oder Waldlandschaften bezeichnet, aber das ist nicht ganz richtig. Es gibt nur wenige Dehesas, die so dicht mit Bäumen bewachsen sind, dass sie wirklich einem Wald ähneln. In wissenschaftlichen Kreisen werden sie als Mittelmeersavanne bezeichnet, was der Sache näher kommt. Das ist aber immer noch nicht ganz zufriedenstellend, denn die allermeisten Dehesas sind nicht so weitläufig und offen wie die afrikanische Savanne, von der wir alle ein Bild haben. Die meisten Dehesas sind auch etwas üppiger und farbenfroher - und vermitteln ein Gefühl von Abgeschiedenheit.



Die Dehesa als perfekte Symbiose von Mensch und Natur? Dehesas sind keine vom Menschen unberührte Naturlandschaft. Im Gegenteil, die Dehesa wurde über Jahrhunderte hinweg durch hartes Landleben geformt, modelliert, gestaltet und verändert. Auf den flachgründigen, nährstoffarmen Böden waren und sind die Voraussetzungen für Ackerbau schlecht, die Weidewirtschaft lohnt(e) sich eher, der Unterbewuchs verschwand im Zeitablauf. So entstanden parkartige Baumbestände. Die Bäume schützen den Boden vor Erosion, spenden den Weidetieren Schatten und liefern die zur Mast (in erster Linie der Schweine) geschätzten Eicheln. Der Wechsel von der ursprünglichen dichteren Waldbedeckung zur offeneren Dehesa vollzog sich langsam aber stetig. Seitdem sind die Veränderungen relativ gering gewesen. Während der schrittweisen Umwandlung von Wald in Dehesa konnte sich die Natur an die Veränderungen durch den Menschen anpassen, so dass die Arten in Harmonie mit den traditionellen landwirtschaftlichen Praktiken des Menschen koexistieren konnten. Und: Die Bewirtschaftung der Dehesas überlässt den natürlichen Prozessen die dominierende Rolle. Eine Besonderheit der Nutzungsform der Dehesa liegt in ihrem hohen Alter – der älteste Beleg für die Dehesas datiert 4000 Jahre zurück.



Von hier aus läßt sich die Dehesa als Landschaft und auch als Unternehmen verstehen. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. So lautet denn auch die staatliche Definition von Dehesas, dass es sich um Viehzuchtbetriebe handelt, zu denen Gras- und Buschland gehört, das typischerweise ein Mosaik mit Dehesa-Eichenwäldern bildet, wobei mindestens 20 % der Fläche von Eichenwäldern eingenommen werden. Damit ist die Dehesa eine Form der Agrosilvo-Wirtschaft mit Eichen, die die Nutztierhaltung mit der Kultivierung bereits vorhandener oder gepflanzter Bäume kombiniert und andere Betriebe wie Korkproduktion, Getreideanbau, Jagd, Pilzsammlung und Bienenzucht umfasst. Interessant ist, dass sich der größte Teil der Dehesas im Besitz von Einzelpersonen und Familien befindet (geschätzt 85 %), der Rest in kollektivem Besitz. Dazu gehören Grundstücke, die von einer Gemeinschaft oder einer Gemeinde gemeinsam genutzt werden und die im Allgemeinen als „Dehesa Boyal“ bezeichnet werden. Heutzutage ist die Dehesa Boyal vielerorts als Naherholungsgebiet mit Schaubetrieben zur Pflege des Kulturguts Dehesa umgestaltet. 




Wie funktionieren die Dehesas? Das Ökosystem der Dehesa dreht sich um den zyklischen Auf- und Abbau von Weideland. Alle sechs bis zehn Jahre wird auf der Dehesa Getreide angebaut. In den darauffolgenden Jahren liegt das Land brach, Schafe und Rinder grasen auf der Weide; dadurch wird es gedüngt, es erholt sich. Nach und nach wird die Dehesa von Gestrüpp überwuchert, bis der Landbesitzer sie rodet und erneut Getreide aussät. Das traditionelle Prinzip der Transhumanz (Wanderweidewirtschaft) mit einem ausgeklügelten Netzwerk von Triftwegen (Cañadas) unterstützte das ökologische Gleichgewicht. So zeigt die Dehesa ein sich ständig veränderndes Muster aus verschiedenen Stadien von Brache, Weide, Buschland und Ackerland. Jede Phase des Kreislaufs bildet ihre eigene Flora und Fauna aus. Der Zyklus der Dehesa gibt den Takt für ein einzigartiges und vielfältiges Ökosystem vor. Nur die Bereiche um Felsen und Flusstäler entziehen sich dem Kreislauf und dienen als Rückzugsgebiet für Pflanzen und Tiere. Allerdings ist es durch die technischen und agrarpolitischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte für die Landwirte immer schwieriger geworden, die Zyklen der Dehesa aufrechtzuerhalten, so dass das Ökosystem in Bedrängnis geraten ist. Die Getreideanbauflächen verschwinden von der Bildfläche, da die schlechten Ernten wirtschaftlich nicht mehr tragbar sind. Heute wird geschätzt, dass nur noch 10 % der Dehesa regelmäßig gepflügt und bepflanzt werden. Die ärmeren Dehesas werden ganz aufgegeben und sind mit einem dichten Gestrüpp aus Lack-Zistrosen bewachsen. Umgekehrt werden die produktiveren Gebiete von den Herden stark überweidet - mehr, als die Vegetation verkraften kann. Hinzu kommt das zunehmend heiße und trockene Klima, das die Bäume, insbesondere die älteren, absterben lässt. Wenn sie nicht wieder aufgeforstet werden, wird die Fläche der Dehesa immer kleiner. Mittlerweile sind der ökologische Wert der Dehesa und die Dehesa als Kulturgut in spanischen und EU-Gesetzen gut verankert. So ist es zB verboten, die Bäume ohne offizielle Genehmigung zu fällen. Im Großen und Ganzen wird die Dehesa jedoch noch gepflegt und funktioniert auf traditionelle Art und Weise.




Zur Ästhetik der Dehesa: Die Dehesa ist nicht nur aus ökologischen Gesichtspunkten eine Insel der Glückseligen, auch aus ästhetischem Blickwinkel würde sie jeden Schönheitswettbewerb gewinnen. Die ästhetische Wahrnehmung von Landschaften ist zu einem bedeutenden Thema der psychologischen Forschung geworden. Dabei wird ermittelt, welche Landschaften allgemein als schön empfunden werden, und es wird versucht, die Gründe zu erklären. Im Ergebnis ergaben die Studien, dass die Dehesas ästhetisch „vollkommen" sind. Sie weisen viele Aspekte der idealen, pastoralen Landschaft auf und punkten besonders aus vier Gründen: Zunächst durch ihre visuelle Tiefe mit ansprechenden Vordergründen und weiten Blickmöglichkeiten in die Ferne, sodann durch ihre (wahrgenommene) Natürlichkeit, ihre moderate Komplexität und das Vorhandensein von Wasser. Bei genauerer Beleuchtung der einzelnen Faktoren haben die Forschungsergebnisse glücklicherweise keinen offensichtlichen Konflikt zwischen dem ökologisch Wertvollen und dem ästhetisch Angenehmen gezeigt. Erfreuen wir uns also am Anblick von intakten Dehesas und genießen, was sie hervorbringen: Futter für das Vieh, ein Beitrag zur Klima- und Bodenregulierung, Eicheln, Kork, Holz, ein gesunder Viehbestand (Schweine, Schafe, Ziegen, Rinder), Honig, Wild und nicht zuletzt Natur- und Ökotourismus. Die Kraniche jedenfalls genießen diese Früchte auch ;-)







Das komplette Bilderalbum mit Impressionen zur Dehesa findet sich hier.


Quellen


  • PHENOLOGY AND DISTRIBUTION OF THE COMMON CRANES (Grus grus) IN SPAIN 2022/2023, José Antonio Román Álvarez

  • Extremadura, Crossbill Guides Foundation (4. Auflage 2019)

  • Mediterranean Oak Woodland Working Landscapes - Dehesas of Spain and Ranchlands of California, 2013, Editors Pablo Campos, Lynn Huntsinger, José L. Oviedo, Paul F. Starrs, Mario Díaz, Richard B. Standiford, Gregorio Montero

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