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  • Thomas Grohmann

Laguna de Gallocanta und Villafáfila

Aktualisiert: 6. Dez. 2023

Wohin die Kraniche ziehen (3)

 




Nach einer mehr oder weniger ausgeprägten Rast am Lac du Der setzen die Kraniche ihre Reise je nach Witterung gestaffelt, kontinuierlich oder in großen Wellen quer durch Frankreich fort, in Richtung Südwesten bis nach Les Landes in Aquitanien. Dort, mit Schwerpunkt im Naturreservat Arjuzanx, legen sie erneut einen Zwischenstopp ein, bevor sie die Pyrenäen überqueren. Bei günstigen Wetterbedingungen können sie diese auch direkt überqueren und in ihre Zielgebiete im Südwesten und Süden der iberischen Halbinsel fliegen. Typischer Weise überqueren sie die Pyrenäen aber durch die Täler Navarras und die westlichsten Täler Aragoniens, um zur Lagune von Gallocanta zu gelangen, die für den Hauptstrom der nach Spanien ein- und ausfliegenden Kraniche zu einem gesetzten Rastplatz geworden ist. Die Lagune und die agrarwirtschaftlich genutzte Umgebung bietet den Tieren die Möglichkeit zur ungestörten Rast und Stärkung, um nach einer meist kurzen Verweildauer ihren Zug südlich des Iberischen Scheidegebirges (Sistema Central) fortzusetzen.






Zu den Spitzenzeiten des Durchzugs, Ende Oktober und Mitte Februar, werden mehr als 30.000 Kraniche gezählt, wobei auf dem schnelleren Heimflug in die Brutgebiete auch tageweise Konzentrationen von über 100.000 Tieren erlebt werden können (vgl. Tabelle der Saison 2022/2023). Das Spektakel im Frühjahr zählt dann auch zu den großen ornithologischen - und auch akustischen - Sehenswürdigkeiten Europas, das viele Besucher anlockt, wenn die schreienden Schwärme beim Ein- und Ausflug den Himmel verdunkeln. Von ca. 5.000-10.000 Exemplaren wird die Lagune mittlerweile als Winterquartier genutzt, sodass auch außerhalb der Hauptzugzeiten regelmäßig Kraniche angetroffen werden können.






Sie ist schon etwas Besonderes, die Laguna de Gallocanta: Auf einer Hochebene mit steppenähnlichem Charakter ca. 100km südwestlich von Saragossa in der spanischen Provinz Aragonien gelegen, ist sie der größte natürliche See Spaniens mit einer Fläche von rd. 1900 ha, etwa 7,5 km lang und 2,5 km breit. Die abflussfreie Senke wird durch Regenwasser und drei kleine Zuflüsse gespeist, d.h. das zuströmende Wasser wird nur durch Verdunstung verloren und bewirkt, dass das Wasser versalzt. Dieser Umstand wiederum begünstigt das Vorhandensein ausgedehnter Ufer und schlammiger Bereiche und macht die Lagune zum größten salzhaltigen Feuchtgebiet auf der Iberischen Halbinsel und das am besten erhaltene in Westeuropa. Die Süßwasserquellen sorgen dafür, dass es an einigen Stellen Schilf und Rohrkolben gibt. Ein Paradies für Wattvögel also und natürlich auch für Kraniche. Über 220 Vogelarten hat man im Gebiet gezählt, seien sie dort nistend, überwinternd oder durchziehend. Die nicht kalkulierbaren Regenwassermengen führen allerdings zu großen Schwankungen des Wasserspiegels von Jahr zu Jahr. In feuchten Jahren kann der See riesig sein. In Dürrejahren trocknet er in den heißen Sommermonaten vollständig aus, und auch in einigen niederschlagsarmen Wintern der letzten Zeit war er weitgehend trocken. Als weiteres Extrem kommt hinzu, dass der See auf einer Höhe von 1.000 m in einer der kältesten Regionen Spaniens liegt - da kann es bei Frost in den Winternächten schon einmal auf -15° C oder noch weiter runtergehen. Am 12. Januar 2021 wurden in Bello -25,4° C gemessen.



 



Für den Vogel- und Naturfreund gibt es eine gut ausgebaute Beobachtungsinstrafstruktur mit mehreren Beobachtungstürmen, die Aussicht auf die Lagune und die Schlafplätze der Kraniche im Salzsee bieten (allerdings in sehr großer Distanz). Darüber hinaus werden auch einige mietbare Ansitzhütten für Naturfotografen an den Süßwasserzuflüssen unteralten. Wie überall unterliegen sie zum Schutz der Tiere strengen Regularien. Die Hütten müssen eine Stunde vor Sonnenaufgang bezogen und dürfen keinesfalls während des Tages verlassen werden; erst am Abend, eine Stunde nach Sonnenuntergang, wenn alle Kraniche abgezogen sind, ist das möglich. Quasi Isolationshaft für 12, 13 oder mehr Stunden. Die intime Nähe und die besonderen Einblicke in das Verhalten der Tiere haben ihren Preis. Das zentrale Informationszentrum an der Verbindungsstraße zwischen den Dörfern Tornos und Bello ist während der Hauptkranichsaison täglich, ansonsten an den Wochenenden geöffnet und Ausgangspunkt für Informationen, Dokumentationen und Führungen rund um das Reservat. Ein neues, sog. „Interpretationszentrum“ im Dörfchen Gallocanta ist ausschließlich ein Vogelmuseum.

 



Die Nutzung des Grundwassers für die Landwirtschaft und die immer geringeren Niederschläge führen zu einer verstärkten Versalzung des Sees. So können sich kleine Salzkrebse breit machen, die die Nahrungsgrundlage für eine kleine Population von Rosaflamingos bilden. 2021 gab es erstmals brütende Paare in der Lagune. Der Beringung zu folge stammen einige Exemplare aus der Camargue.

 




Die weite, ebene Landschaft, in die die Lagune eingebettet ist, wird von entfernten Bergketten gerahmt und sehr intensiv ackerbaulich genutzt. Vereinzelte große Schweinemastbetriebe verteilen sich in der weiteren Umgebung. Gülleduft liegt in der Luft. Auf großen Flächen wird vor allem Getreide angebaut. Auffallend ist, dass die auch historisch dünn besiedelte Gegend unter einer ausgeprägten Landflucht leidet: In den kleinen Dörfern gibt es viele leerstehende Häuser, manchmal an Geisterstädte in den USA mit durch die Straßen wehendem Gestrüpp erinnernd. Die Jungen zieht es zum Broterwerb und Leben in die größeren Städte. Um dem entgegenzuwirken und Arbeitsplätze zu schaffen, versuchen die lokal Verantwortlichen mit manchmal zweifelhaften Methoden Betriebe zur Ansiedlung zu bewegen. So plant spanischen Medienberichten zufolge Deutschlands größter Schweinefleischproduzent Tönnies (Billigfleischskandal 2020) in dem vielleicht 20 km von der Lagune entfernten Städtchen Calamocha einen riesigen, vollautomatisierten Schlachthof samt Fleischfabrik zu errichten. Auf einem früheren Flugplatzgelände (1937/38 Haupteinsatzplatz der „Legion Condor“) sollen ab 2024 täglich (!) 10.000 Schweine geschlachtet und die produzierten Tönnies-Produkte in ganz Spanien und anderen EU-Ländern verkauft werden. Der Bürgermeister freut sich über 1.000 Arbeitsplätze und den wirtschaftlichen Gewinn für Calamocha. Die verbundenen Problematiken werden weniger gesehen (Grundwasserverschmutzung und Überdüngung durch Gülle, Antibiotikaresistenzen, Tierarzeneimittel in der Umwelt, Zerstörung von Kulturlandschaft und bäuerlichen Existenzen). Lokale Protestbewegungen sind in dem dünn besiedelten Gebiet eher nicht zu erwarten. Die spanische Provinz Teruel in der Region Aragón ist übrigens berühmt für ihren Jamón de Teruel mit eigenem, geschützten Herkunftssiegel.

 



Die dünne Besiedlung sorgt auf der Lagunen-Hochebene für wenig Lichtverschmutzung. In klaren Nächten bietet der Himmel ein sehenswertes Schauspiel und lädt zu astronomischen Beobachtungen und Astrofotografie ein. Der schon beschriebene Komet C2022E3(ZTF) konnte hier in zwei Weitwinkelaufnahmen in seiner himmlischen Nachbarschaft aufgenommen werden.




Im Winterhalbjahr darf der Blick auf ein Objekt, dem man den Trivialnamen Weihnachtsbaum-Sternhaufen gegeben hat, nicht fehlen. Die dazugehörige Sternentstehungsregion ist als NGC 2264 katalogisiert (Konusnebel) und beschreibt im Sternbild Einhorn (Monoceros) mit davor gelagerten Dunkelwolken einen riesigen molekularen Komplex. Und noch etwas passt hier zu Weihnachten: Ein Licht kommt in die Welt. An der Spitze einer Säule aus Gas und Staub (gelber Pfeil) sind gerade neu entstandene Sterne zu erkennen. Das zweite Bild zeigt einen Weitwinkelausschnitt der Region mit dem bekannten Rosetten-Nebel.




Das komplette Album für die Laguna de Gallocanta gibt es hier.


Villafáfila


Zurück zu den Kranichen: Wenn sie die Pyrenäen von Norden her erreichen, überquert der Hauptzug die Berge nach Navarra mit Ziel Gallocanta. Ein kleiner Teil fliegt jedoch über das an der Biscaya gelegene Irún und das Baskenland nach Spanien. Diese folgen einer alten traditionellen Route über Kastilien, die bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts die übliche Route war: Über Palencia (Lagune La Nava) zu den Dehesas und Feuchtgebieten von Salamanca und Zamora. Die Austrocknung der meisten Feuchtgebiete auf dieser Route (La Nava und andere) führte zu einem Strategiewechsel, und in den 1970er Jahren begannen die Kraniche, von Gallocanta aus durch das Zentrum der Halbinsel zu ziehen.

 


Einen kleinen Bereich der Feuchtgebiete Zamoras haben wir uns auch angeschaut, das Naturschutzgebiet Reserva Natural de Lagunas de Villafáfila. Villafáfila liegt in der kastilisch-leonesischen Hochebene auf einer Höhe von etwa 625 m, etwa 35 Kilometer südwestlich der Provinzhauptstadt Zamora. Die Umgebung ist einer offenen Steppenlandschaft ähnlich und wird überwiegend bewirtschaftet (Getreide, man liegt am Rande der „Tierra del Pan“). Das engere Naturschutzgebiet besteht aus drei größeren Seen und weiteren kleineren Feuchtgebieten, die in einem abflusslosen geologischen Becken liegen. Das sanft geschwungene Relief wird durch vereinzelte Baumgruppen unterbrochen.



Neben einer vergleichsweise überschaubaren Anzahl von rastenden und überwinternden Kranichen ist die Attraktion jedoch eine andere: Um diese Feuchtgebiete herum leben in der steppenähnlichen Szenerie etwa 2.000 Großtrappen, eine der weltweit größten Kolonien dieser hochgefährdeten Spezies. Die Männchen sind mit bis zu 16 kg Körpergewicht die schwersten flugfähigen Vögel überhaupt. Da die Mark Brandenburg übrigens stets die Hochburg der Großtrappen in Deutschland war, wurde der majestätische Vogel hierzulande auch Märkischer Strauß genannt.





In Villafáfila ist man sich der Schutzwürdigkeit dieser Seltenheit bewusst und hat schon vor Jahrzehnten Programme zum Erhalt der Tiere und ihres Lebensraums durchgeführt. Das Reservat ist Schutzgebiet für Großtrappen und Rötelfalken im Rahmen des EU Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen-Programms LIFE.

 


Auch hier haben wir einen ausgesprochen dunklen Himmel: Die Planeten Venus und Merkur spiegeln sich am frühen Abend des 12. April 2023 in einer Lagune bei Villafáfila. Für den sonnennächsten Planeten Merkur waren die Tage in der ersten Aprilhälfte das einzige Sichtbarkeitsfenster am Abendhimmel des Jahres. Die helle Venus steht in der Nähe von M45, einem offenen Sternhaufen, auch unter Plejaden oder "Sieben Schwestern" bekannt.



Weitere Aufnahmen von Großtrappen aus Villafáfila und der Extremadura gibt es hier.


Quellen


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